Die Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen, die sogar entgegen den natürlichen Zielen des Cerebellus laufen können (wie z.B. Überleben), sowie die Fähigkeit mit Hilfe der Sprache diese Ziele auch anderen Menschen zu eigen zu machen, ist einzigartig und ermöglicht Anpassungen an neue Gegebenheiten in sehr kurzen Zeitintervallen, die deutlich unter denen der normalen evolutionären Anpassung liegen. Damit hat sich der Mensch seine beherrschende Rolle unter den Lebwesen auf der Erde erobert.
Verhielten sich vor dem Menschen alle von der Evolution hervorgebrachten Lebewesen automatisch umweltverträglich, da der Instinkt immer an den natürlichen Zielen der Lebens- und Arterhaltung innerhalb des Systems Umwelt orientiert handelt, können die Ziele des Menschen auch außerhalb dieser Randbedingungen liegen, d.h. er kann buchstäblich den Ast absägen, auf dem er sitzt.
In diesem Sinne ist der Mensch sowohl „Krone“ als auch der „Irrweg“ der Evolution.
Aus evolutionstechnischer Sicht war die Freiheit der Zielsetzung ein bedeutender Schritt, aber was ist sie für den einzelnen Menschen? Der Cerebellus mit seinen natürlichen Zielen (Essen, Sexualität, Kinderaufzucht, Durchsetzung im „Rudel“, etc.) hat es vergleichsweise leicht, er „weiß“ eigentlich immer, was zu tun ist. Diese Handlungen werden durch die Person (Cortex) bereits während der Vorbereitung wahrgenommen und bewertet. Selbst wenn der Mensch sich entscheidet, den Zielen seines Cerebellus zu folgen und sich keine anderen zu geben, wird er normalerweise (unter Ausschluss von Drogen oder sonstigen Cortex wirksamen Einflüssen wie z.B. Stress) diese Entscheidung über den Cortex „legitimieren“, gegebenenfalls auch im Nachhinein. Diese Legitimation basiert auf einem erlernten Modell von Vor- und Nachteilen einer Handlungsweise, das durch entsprechende Verknüpfung der positiven bzw. negativen Gefühle aus dem erlebten Ergebnis dieser Handlungsweise, aufgebaut wird. Dieses Model repräsentiert die Moral oder den Charakter eines Menschen und modifiziert oder überlagert die im Cerebellus vorhandenen Basisschaltungen (Instinkte).
Die Entstehung dieses Modells in einer Person ist ein lebenslang laufender Prozess, der dabei im Rahmen von genetischen Vorgaben abläuft, die festlegen, wie auf unterster Ebene zwischen Cortex-, Klein- und Mittelhirn die Regelung läuft (s. BioStrukturanalyse). Diese Festlegung ist bereits individuell, d.h. nicht bei jedem Menschen identisch und sie kann durch physische, chemische und psychische Wirkungen modifiziert werden. Damit ist unsere Freiheit immer nur eine Freiheit im Rahmen des Gegebenen für den jeweiligen Menschen.
Mit der Freiheit der Zielsetzung stellt sich natürlich automatisch die Frage nach dem Sinn, aus dem man Ziele bewerten könnte. Aus Sicht des Cerebellus fällt die Antwort leicht bzw. stellt sie sich erst gar nicht, es ist das Überleben als Individuum und Art. Tatsächlich beschäftigt sich der Mensch auch überwiegend mit der Erreichung dieser alltäglichen Ziele.
Neben diesen auf das Individuum und seine Lebensspanne gerichteten „normalen“ Zielen, ergibt sich aus dem eigentlich evolutionären Vorteil unserer Freiheit, das Ziel der weiteren Stabilisierung und Flexibilisierung unseres Organismus und unserer Art. Diesem Ziel dienen z.B. die Wissenschaften, in deren Weiterentwicklung vor allem Menschen ihr Ziel finden, bei denen Neugier und Spieltrieb stark entwickelt sind. Beide sind Triebfedern, die bereits im Cerebellus wirksam sind und vielleicht mit der Entwicklung des Cortex in das genetische Programm von Organismen aufgenommen wurden, um eine Stimulation für diesen neuen Gehirnteil zu suchen.
Da die Cortex – Steuerung als Basis der Freiheit der Instinktsteuerung von z.B. Raubtieren in der Geschwindigkeit unterlegen war und der Mensch dadurch gegenüber anderen Organismen im Sinne des täglichen Überlebenskampfes in Nachteil geriet, wurde die Bildung von größeren Gruppen inklusive einer gewissen Arbeitsteilung notwendig, d.h. es entstand innerhalb der menschlichen Population ein Druck zur Bildung sozialer Netze, die nicht mehr allein auf Familie ( das Rudel ist die bereits auf Säugetierebene entwickelte Vorform) beruhten. Die Stabilisierung und der Fortbestand dieser sozialen Netze wurde ein neues, bewusst gewähltes Ziel des einzelnen Menschen, wobei man diese sozialen Netze auch als noch komplexere Systeme als den Menschen selbst betrachten kann, deren natürlichen Ziele ebenfalls ihre Stabilität und Dauer sind.
Während die Ziele individuelles Überleben, Fortbestand der Art und wissenschaftliche Erkenntnis Ziele sind, die in direkten Einklang mit Zielen des Cerebellus gebracht werden können und auch durch zugehörige Triebe im Rahmen der genetischen Grundausstattung unterstützt werden, sind es die sozialen Ziele in der Regel nicht. Das einzelne Individuum muss hier Frustrationen der persönlichen Zielerreichung erleben und akzeptieren, um das Ziel der sozialen Stabilität zu unterstützen. Diese Frustrationstoleranz wird nur sehr bedingt durch den Cerebellus unterstützt und wenn, dann auf Basis der genetisch verankerten Mechanismen der Zuwendung zum unmittelbaren Schutz der Familie (Spiegelzelle, emotionale Bindung) im Sinne des Fortbestands der eigenen Linie.
Um dieser Frustrationstoleranz etwas Positives unterstützend zur Seite zu stellen, erwächst der Wunsch nach dem „Versprechen an die Vernunft“, dass am Ende die persönlichen Ziele allen Hindernissen zum Trotz erreicht werden können. Dieser Wunsch begründet einen neuen „abstrakten“ Trieb, nämlich das Verlangen nach Gerechtigkeit. Dieses Verlangen nach Gerechtigkeit kann damit als zugrundeliegender Trieb des neuen Systems „Soziales Netzwerk“ bzw. Gemeinschaft gelten.